1. RPE (1) Die Weihnachtsfeier


    Datum: 10.09.2019, Kategorien: Reif Autor: CorvusAudax

    Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben sich wie immer zur Weihnachtsfeier in einem edlen Lokal eingefunden. Für mich ist diesmal aber trotzdem alles anders. Ich habe keine Prostata mehr und fühle mich im Unterbewusstsein seither nur noch als "halber" Mann. Ja, es war medizinisch notwendig! Jeder Versuch, die Erkrankung auszusitzen oder mit alternativen Methoden zu heilen, hätte über kurz oder lang ins Desaster geführt. Ich habe einige Bekannte und Freunde buchstäblich "verrecken" gesehen, als sich der Tumor in den Knochen festgesetzt hat, und dieser den Körper von innen heraus zerstört hat. Gut, der Chirurg hat an mir hervorragend gearbeitet. Ich bin seit der OP zumindest nicht inkontinent. Hinsichtlich Animo gibt es interessanterweise keine großen Einschränkungen zu früher, als noch alles "drinnen" war. Jedoch: die Erektion ist nicht mehr so leicht herstellbar, daher auch meine empfundene Einschränkung auf "halber" Mann.
    
    Aber, lassen wir die dunklen Gedanken im Hinterkopf, ich bin ja auf einer fröhlichen Weihnachtsfeier! Wie immer gibt es bereits zum Empfang hervorragende Erfrischungen die die Sinne beschwingt machen und die Stimmung lösen. Für viele meiner Kollegen ist meine OP und vor allem deren Folgen ein Thema, das mehr oder weniger direkt angesprochen wird. Alle interessiert natürlich gleich nach der Frage »wie geht's dir?«, die eigentlich Frage: »wie geht's?«. Natürlich wird höflichkeitshalber und der Form wegen das gesundheitliche Empfinden als erstes gefragt ...
    ... und erst dann von wenigen in Folge das eigentliche brennend interessante Thema: »und wie geht's?« nur verschämt und verklausuliert angesprochen.
    
    Wie zufällig beim small talk erkundigt sich auch eine Kollegin in meiner Altersklasse, nennen wir sie Grete, nach meinem Zustand. Ja, mir geht's eh super, danke! Aber irgendwie will sie mehr wissen und zieht mich aus dem lautem Gewusel in eine ruhigere, vom direkten Geschehen abgeschiedene Seite des Lokals. Endlich wird nach der obligatorischen und leider immer viel zu langen Ansprache das Büfett eröffnet und jeder sucht sich einen fürs's Büffet strategisch günstigen Platz. Grete und ich verbleiben an der ruhigen, etwas separierten Seite und nehmen nebeneinander Platz.
    
    Nochmals kommt die zuvor offenbar für sie ungenügend beantwortete Frage: »und wie geht's wirklich?«, doch diesmal mit einem tiefen Blick und zu leise, um von zufälligen Zuhörern mitgehört zu werden. Der Blick und die insistierende Art der der Fragestellung löst in mir Unbehagen aus. Was möchte sie denn wirklich wissen? Eigentlich wünsche ich mich auf den Mond, um nicht weiter über meine heiklen Unzulänglichkeiten antworten zu müssen. Wie zufällig legt sie eine Hand auf meinen Unterarm und streicht mit der anderen über meinen Handrücken. Durch diese intim vertraute Geste irritiert sage ich heiser: »Liebe Grete, weißt ja eh, soweit passt eh alles«. Wie befürchtet lässt sie aber nicht locker und bohrt weiter fort: »Na, aber da gibt es doch noch was, wie ist es denn ...
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