Der Sündenfall
Datum: 14.09.2019,
Kategorien:
Schwule
Autor: byRolf_Udo
Schon seit dem Schwindel erregenden Findelenbach-Viadukt starrt der Bursche mich an. Keinen Blick hat er übrig für die einmalige Aussicht auf Zermatt und sein grünes Tal.
Die Lärchen werden von Arven und Alpenrosen abgelöst, wir haben die Zweitausend Meter überschritten. Ein herrlicher Sommertag, nur einzelne weiße Wolken am lichtblauen Himmel.
Unten im Tal hätte ich die Blicke wohl erwidert, aber hier interessieren mich mehr die verschiedenen Ausblicke durch die großen Fenster der Gornergratbahn. Hat sich mir genau gegenüber gesetzt, fährt mit dem Rücken zur Fahrtrichtung. Nett, sehr nett, vielleicht knapp dreißig, ein verwegener, blonder Dreitagebart im frischen, offenen Gesicht.
Blonde, halblange Locken und dazu die unvermeidlichen wasserblauen Augen.
Ich weiche seinen Blicken aus, betrachte gedankenversunken die strammen Oberschenkel in der recht engen Kniebundhose. Ich muss mich losreißen, denn das Panorama draußen ist atemberaubend.
Station Riffelalp. Gegenüber präsentiert sich das Matterhorn in seiner großartigsten Form. Genau diesen Augenblick benutzt der Bursche, um mit mir die ersten Worte zu wechseln.
„Das ist das Matterhorn..."
Seine Stimme ist weich und sinnlich, Graubündner Dialekt schwingt deutlich hörbar mit, aber ich bin nicht bereit zu überflüssigem Geschwätz.
„Ist ja nicht wahr!"
Der Kerl überhört meinen ironischen Unterton, meine deutliche Ablehnung, nimmt mich beim Wort.
„Doch! Das Matterhorn erkenne ich ...
... sofort."
Hunderttausende von Postkarten zeigen genau diesen Blick. Ich sehe prüfend in seine unschuldig blickenden Augen. Will er mich auf den Arm nehmen? Nein, er will nur mit mir sprechen. So kann man sich nicht verstellen.
Der Zug knirscht in den Zahnstangen, hat Mühe die Steilstrecke nach Riffelberg zu überwinden. Ich werde in den Sitz gepresst, während mein Gegenüber leicht den Halt verliert. Nicht in Wirklichkeit, aber eben doch psychologisch.
Plötzlich freie Sicht nach Rechts. Die wie Silber gleißende Pracht der Viertausenderkette, gekrönt von den Gipfeln des Monte Rosa, lässt sofort jegliches Interesse an meinem Gegenüber verstummen. Nur noch wenige Minuten bis zur Gipfelstation.
Ich stehe auf dem Gornergrat, habe mich immer noch nicht an den Anblick gewöhnt. Ich muss einfach Rast machen, setze mich an den steilen Abhang, der vierhundert Meter hinunter zum Gornergletscher führt.
Vom Matterhorn über das Breithorn, die schneebedeckten Castor und Pollux, bis zur Dufourspitze des Monte Rosa schweift mein Blick. Einige Alpenkrähen betteln nach Futter, doch ich beachte sie nicht.
Erst nach langer Zeit beginne ich zu frösteln, bemerke ich den kühlen Wind, der hier in über dreitausend Meter Höhe über den Grat weht. Ich drehe mich zu meinem Rucksack, will meine Windjacke anziehen, da sehe ich ihn.
Er steht nur einige Meter hinter mir. Wie lange er schon da ist, weiß ich nicht. Und nun macht er Anstalten, sich neben mich zu setzen.
„Gruezi. Ist es gestattet?"
Knigge ...