1. Das Gesetz zum weiblichen Nacktzwang


    Datum: 19.11.2019, Kategorien: Insel der Scham, Autor: Luftikus

    In seinem heutigen Interview im Staatsfernsehen würde der Herr Präsident wichtige Neuerungen verkünden, so stand es an diesem Morgen in den Zeitungen. Die Bürgerinnen und Bürger nahmen kaum Notiz von den fettgedruckten Schlagzeilen der Titelseiten. Sie kannten die Meldung schon aus dem Frühstücksfernsehen. Der Diktator war für seine selbstverliebten stundenlangen Reden berüchtigt, in denen er mit großem Pathos die immer gleichen Phrasen wiederholte, ohne etwas wirklich Substanzielles gesagt zu haben.
    
    Die Reden des Präsident waren bis jetzt folgenlos im Äther und auf den Straßen und Plätzen verrauscht. Warum sollte es diesmal anders sein. So eilten die Menschen zu ihren täglichen Aufgaben, ohne einen weiteren Gedanken an die angekündigte Rede zu verschwenden. Die Bevölkerung hatte sich mit der Diktatur arrangiert. Die Wirtschaft florierte und man lebte in Frieden mit den Nachbarländern. Dass immer mal wieder kritische Mitbürger plötzlich von der Bildfläche verschwanden, wurde ignoriert.
    
    Es herrschte eine große Angst vor der allmächtigen Geheimpolizei. Aber dieser Morgen war viel zu schön, um sich über diese Dinge einen Kopf zu machen. Freundlich strahlte die Sonne auf die Prachtstraße der Hauptstadt, die zum Platz vor dem Regierungspalast führte. Dort hatten sich schon viele junge Menschen versammelt, um das Interview mit dem Herrn Präsidenten auf der großen, 10 Meter hohen Videowand live zu verfolgen. Die Mitglieder des Studentenverbandes der Einheitspartei waren ...
    ... hierzu extra von der Anwesenheitspflicht an der Universität befreit worden.
    
    So standen die die 17 bis 23 jährigen jungen Leute, unlustig mit den Füßen tippelt, auf dem Platz, um ihrer Pflicht nach zu kommen und dem Herrn Präsident gebührend zuzujubeln. Die Studenten trugen die Uniformen ihres Verbandes. Graue Hosen und weiße Hemden für die jungen Männer, hellgraue Röcke und weiße Blusen für die Studentinnen. Die obligatorischen lilafarbenen Halstücher waren korrekt gebunden und lagen ordentlich unter den weißen Krägen. Die Haarschnitte der jungen Männer waren kurz, die Nacken frei. Die Studentinnen trugen traditionelle Zöpfe, viele hatten ihre langen Haare nach hinten zu Pferdeschwänzen gebunden.
    
    Kurzhaarfriseuren waren auf dem Platz nicht zu entdecken. Die waren dem Herrn Präsidenten zuwider, und keine der Studentinnen wollte es sich mit der Obrigkeit verscherzen. Ebenso verzichten die karrierebewussten jungen Frauen auf Tattoos und Piercings. Unvergessen geblieben war die ausufernde Moralpredigt des Herrn Präsidenten, die er nach seiner Machtergreifung gehalten hatte. Furios hatte er gegen die schädlichen Einflüsse dieses ausländischen Unsinns auf die reine Kraft des Volkes gewettert und ein hartes Durchgreifen zur moralischen Erneuerung des Landes angekündigt.
    
    Frisch in Erinnerung waren noch die Bilder, als Polizisten daraufhin Frauen in zu moderner Kleidung auf offener Straße dazu zwangen, sich auszuziehen, um sie auf eventuell vorhandene Piercings zu untersuchen. ...
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