1. Vorstadtidylle


    Datum: 11.06.2024, Kategorien: 1 auf 1, Autor: Conny Lingus

    Jörn:
    
    Plötzlich, völlig unerwartet und ohne jegliche Vorwarnung ist es passiert - meine Tante Elisabeth, von allen in der Familie nur Tante Lise genannt ist nicht mehr. Klar, sie war schon 81 Jahre, aber eigentlich total auf Zack. Kerngesund, so hat sie immer mit einem Augenzwinkern gesagt, und weil sie immer dem Rotwein gut zugesprochen hat - das sei ihr Wunderelixier. Ich habe sie unregelmäßig, und auch eher selten besucht, zumeist in der dunklen, kalten Jahreszeit, denn da war sie immer in ihrer Wohnung anzutreffen, und nicht "draußen" im Kleingarten in ihrem Häuschen. Mir war und ist dieses spießbürgerliche Gehabe und Getue in solchen Kolonien schon immer ein Graus - jeder kümmert sich um alles, speziell, ob der Rasen der Nachbarn auch regelmäßig gemäht wird, und ob auch genug Gemüse auf dem Grundstück angepflanzt wurde. Und wenn nicht, dann gibt es immer noch eine Versammlung, wo man solche Dinge entrüstet vorbringen kann. So zumindest meine alten Erinnerungen an das Leben dort draußen, als ich sie schon als kleiner Junge dort besucht habe. Es kann ja auch sein, dass sich das Leben dort verändert hat, und ich sofort wieder nur an meine verfestigten Vorurteile denken musste als dieser Brief kam von einem Notar kam...
    
    Einige Wochen vorher hat es Tante Lise beim Kaffeekranz mit Freundinnen dort draußen in ihrem kleinen Paradies (wie sie immer sagte) umgehauen - einfach so, meinem Cousin wurde es von einer Freundin von ihr beschrieben. Lise ist vom Tisch aufgestanden ...
    ... und wollte ihren selbstgebackenen Kuchen aus ihrem kleinen Häuschen holen. Dann hat sie nur noch große Augen gemacht - und ist wortlos umgefallen. Herzstillstand - tot - einfach so. Auf der einen Seite unfair, sie war lebensfroh, und niemand hätte mit so einem schnellen Ende von ihr gerechnet. Andererseits hat sie immer gesagt "Jörn - Wenn es mal soweit ist, dann soll es schnell gehen - ich hasse Krankheiten und Siechtum!" Sie hat mich sogar mal darum gebeten, ihr 'zu helfen', wenn sie mal dement würde und nur noch rumsabbert... Das ist glücklicherweise ihr und auch mir erspart geblieben.
    
    Nun hat sich ihr Wunsch schneller als erwartet erfüllt.
    
    Als ich den Brief geöffnet habe, habe ich mit vielem gerechnet, aber damit nicht: Tante Lise hat mir ihr kleines, von ihr so geliebtes Kleinod vermacht. Ich weiß im ersten Moment nicht, ob ich mich freuen soll - schließlich wusste sie, dass mir diese kleine, geschlossene, in sich irgendwie besondere Welt nicht behagt. Trotzdem hat sie es gemacht. Sinn für einen besonderen Humor hatte sie immer schon. Na gut, ich fange an, mich damit zu beschäftigen, auch wenn es im ersten Moment nur der Check ist, wieviel das kleine Grundstück mit kleinem Häuschen wohl bei einem Verkauf bringt. Dann staune ich, dass es dafür einen richtigen Markt gibt, so etwas ist für viele Städter interessant und stark nachgefragt. Tante Lise: Du bist die Beste! Ich stelle fest, dass neben Rentnern auch Familien mit Kindern solche Erholungsoasen nahe oder in der ...
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