1. Die Walküre


    Datum: 08.09.2019, Kategorien: Kunst, Autor: baer66

    ... anschließend ganz ihrer Leidenschaft für Siegmund hingeben zu können. Fasziniert lauschen die Zwillinge dem musikalischem Liebesrausch ihrer Ebenbilder. In den Theaterpausen sprechen sie fast nichts und lutschen, während sie wie in Trance über Gänge und Treppen langsam dahinwandeln, scheinbar gleichgültig an ihren eigens mitgebrachten „Kognak-Kirschen“ und „Maraschino-Bonbons“.
    
    S. seufzt. Die herzerwärmende Liebe läßt ihn die grausame Kälte und den heulenden Wind vergessen. Dann denkt er an den Anblick der nackten Schwester auf dem Bärenfell vor dem Kamin. "Winterstürme wichen dem Wonnemond!"
    
    Auf dem Heimweg sitzen die Beiden wieder schweigend in der Kutsche, „abgeschlossen vom Alltag“. Nichts kann sie erreichen, „was sie der wilden, brünstigen und überschwenglichen Welt hätte abwendig machen können, die mit Zaubermitteln auf sie gewirkt, sie zu sich und in sich gezogen.“
    
    Sie trennen sich nach einem raschen und wortkargen Beisammensein am Abendessenstisch, doch ist für Siegmund, der sich in sein Schlafzimmer zurückgezogen hat, klar, dass Sieglind noch einmal erscheinen und ihm, wie immer, eine gute Nacht wünschen wird. Vor dem Spiegel beginnt er, die vorhin gesehenen Theaterposen auszuprobieren, begibt sich, wie sein Opernvorbild, mit tragisch schleppenden Schritten zu dem Bärenfell, das auf dem Boden liegt, und läßt sich dort, „versunken in den Anblick seines eigenen Spiegelbildes“, wie erschöpft nieder.
    
    Als Sieglind, schon halb entkleidet für die Nacht, zu ...
    ... ihm kommt, ist sie zunächst entsetzt, da sie glaube, er habe sich verletzt oder sei krank. Besorgt wie ihr germanisches Bühnenvorbild, kniet sie neben ihm nieder und beginnt ihn zu streicheln. „Ihr aufgelöste Haar fiel hinab auf ihren offenen, weißen Frisiermantel. Unter den Spitzen ihres Mieders sah Siegmund ihre kleinen Brüste, deren Hautfarbe wie angerauchter Meerschaum war.“
    
    Die Erinnerung an die heiße Geschwisterliebe wärmt den Wanderer im Schnee. Er geht langsam aber stetig weiter.
    
    Noch ein paar hundert Höhenmeter bis zum verschneiten Paß mit der weiten freien Aussicht Richtung Norden
    
    Seine Gedanken kreisen um den Ring des Nibelungen. Die Walküren zeigen sich hier im Norden als Nordlicht, sagt man.
    
    Sie reiten über den Nachthimmel und man sieht ihre grünen Feuerspuren.
    
    Die Walküre! Mehr und mehr ergreift ihn die Vorstellung der Schlußszene im dritten Aufzug Walküre. Der Göttervater bietet sein liebstes Kind demjenigen, der das Feuer nicht fürchtet.
    
    "In festen Schlaf verschließ ich dich:
    
    wer so die Wehrlose weckt,
    
    dem ward, erwacht, sie zum Weib!"
    
    Das ist eine Fantasie ganz nach dem Geschmack des Studenten. Ein wunderschönes Wunschmädchen, nackt auf dem Felsen, nur mit einer Rüstung zugedeckt. Wie gerne möchte er sie wachküssen!
    
    S. stapft weiter durch den Schnee und die Dunkelheit des Nordens. Die Füße sind eiskalt. Er spürt sie kaum mehr trotz seiner dicken Stiefel. Tief zieht er sich die Kapuze ins Gesicht. Leuchtet da etwas am nördlichen ...
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