1. Die Traumnovelle


    Datum: 23.11.2019, Kategorien: Kunst, Autor: baer66

    Mein Telefon läutet: "Willst Du heute Abend eine wunderschöne blonde junge Schauspielerin nackt auf der Bühne sehen? Und das in einer anspruchsvollen Dramatisierung eines Stücks der Weltliteratur?"
    
    Ich spüre meine Erregung wachsen, als ich mir den Vorschlag von I. in meiner Fantasie in allen Einzelheiten ausmale. "Wie viele Männer würden so ein Angebot ausschlagen?", antworte ich. "Dann komm mit mir! Ich habe für die Premiere von Traumnovelle im Theater in der Josefstadt zwei gute Karten!"
    
    I. ist eine gebildete, kunstinteressierte junge Frau mit einem Faible für Literatur und Theater. Sie hat in ihrer kleinen Heimatstadt Schauspiel und Musik studiert und genießt jetzt in vollen Zügen die kulturellen Möglichkeiten einer Metropole.
    
    Mit 25, verträumten bauen Augen, kesser blonder Kurzhaarfrisur, schönen runden Brüsten, langen Beinen und einer heißen glattrasierten Spalte braucht sich I. nicht zu verstecken. Aber sie ist schüchtern.
    
    "Ich habe die Karten vom Regisseur Bauersima persönlich. Er wollte mich ursprünglich für die Rolle haben. Aber ich habe mich einfach nicht getraut, nackt auf der Bühne zu spielen. Jetzt möchte ich natürlich live dabei sein, wenn Hilde Dalik unverhüllt die weibliche Hauptrolle gibt!", erzählt I.
    
    Schnitzlers Traumnovelle hat mir schon immer gut gefallen, die doppeldeutige Handlung, das erotische Spiel der Personen, die Orgie in der Villa, das dekadente Milieu in Wien um 1900.
    
    Durch Stanley Kubricks Verfilmung "Eyes Wide Shut" wird ...
    ... der Schnitzler-Stoff 1999 auch einem weltweiten Kinopublikum bekannt. Dabei setzt der Meisterregisseur auf den Auftritt des damals kriselnden Ehepaars Tom Cruise und Nicole Kidman, was dem Film enorme Publicity verschaffte. Kubrick stirbt nur wenige Tage nach Fertigstellung des Filmschnitts.
    
    Der Schweizer Dramatiker und Regisseur Igor Bauersima dramatisiert Schnitzlers Tiefenpsychologie-Diplomarbeit Traumnovelle für die Josefstadt.
    
    Ein glückliches, wohlsituiertes Paar gerät in den Sog von Kräften, die seine heile Welt zu zerstören drohen. Die beiden versuchen sich vor dem anderen zu erklären. Aber umso schneller nur werden sie in die Arme einer neuen Welt getrieben, in der das Individuum hinter einer Maske verschwindet und in der beengende Moralvorstellungen nicht existieren. Der junge Arzt lässt sich nach einer Krankenvisite, bei der er sich der hysterischen Verliebtheit der Tochter eines verstorbenen Patienten erwehren musste, scheinbar ziellos durch die nächtliche Stadt treiben. Er folgt einer Prostituierten ins Haus, beschränkt sich dann aber nur auf ein Gespräch mit ihr. Er begegnet einem alten Studienkollegen, der als Pianist an „geheimen Abenden“ arbeitet. Er folgt ihm zu einem abgelegenen Landhaus und taucht in eine ihm bis dahin unbekannte Welt der Enthemmung ein. Als er dort eine Frau sieht, die ihr Gesicht hinter einer Larve verbirgt, aber ihren wunderbaren Körper unverhüllt zeigt, ist er bereit, sich ihr hinzugeben.
    
    Gespannt auf die Premiere komme ich im ...
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