1. Ereignishorizont


    Datum: 29.01.2019, Kategorien: Sonstige, Autor: lucy

    ... eingehakt.
    
    "Ein Kaffee wäre jetzt genau das Richtige," hatte sie ihm ins Ohr geflüstert und sie spazierten plappernd und lachend gemächlich zu ihm nach Hause. Sie genoss seine Gegenwart so sehr, dass sie ihre Ängste beinahe vergass.
    
    Aber jetzt, auf dem Klo sitzen, kam alles zurück. Die schicksalshafte Nacht, in der ihr noch junges Leben zerschmettert wurde, in der ihre Hoffnungen und Träume innert Sekunden implodierten, zunichte gemacht wurden von den schrecklichen Ereignissen. Auch jetzt noch, acht Jahre später, erinnerte sie sich an jedes einzelne Detail, es war in ihr Gehirn eingebrannt, unauslöschbar. Das schrille Schreien und verzweifelte Zappeln als es passierte genauso wie die Tränen die sie weinte, die Leere und Verzweiflung die zurückblieben. Und vor allem die Kälte. Diese unheimliche Kälte in ihr, es hatte sich angefühlt als ob ihr Unterleib mit flüssigem Stickstoff gefüllt gewesen war, also ob das Weltall in all seiner Kälte zusammengeschrumpft und sich in ihrem Uterus eingenistet hatte. An die folgenden Tage erinnerte sie sich kaum mehr. Es gab eine Polizeiuntersuchung, sie verbrachte eine Nacht im Gefängnis, wurde endlos befragt aber schlussendlich wurde die Untersuchung eingestellt. Nie hatte sie jemandem erzählt, was wirklich passiert war. Sie wollte es jemandem mitteilen, der Polizeibeamtin, ihrer besten Freundin, irgendwem. Aber zu welchem Zweck? Es würde ihr sowieso niemand glauben, im schlimmsten Fall würde sie den Rest ihres Lebens in einer ...
    ... psychiatrischen Klinik verbringen. So hatte sie beschlossen, nichts zu sagen, nicht einmal Lügen, einfach nichts. Und seither hatte sie ein Einsiedlerleben geführt, hatte sich an die Neckereien ihrer Freundinnen und Arbeitskolleginnen gewöhnt, hatte unzählige Verkupplungsversuche und Avancen abgeblockt, hatte akzeptiert, dass sie nie ein normales Leben würde führen können, nie eine Familie haben würde, nie Mutter sein könnte.
    
    Bis heute.
    
    ***
    
    "Ich sollte gehen," flüstert sie sich selber zu. "Nein, ich muss gehen. Das darf nicht wieder passieren. Nie mehr. Nie, nie meh." Langsam steht sie auf, betrachtet sich im Spiegel. Ihr hübsches, von kastanienbraunen Locken eingerahmtes Gesicht ist voller Schmerz, ihre Augen sind tränenfeucht. Wie immer trägt sie keinen Lippenstift, kein Makeup. Warum auch? Es macht keinen Sinn, sich hübsch zu machen nur um noch mehr Männer abwimmeln zu müssen.
    
    "Das ist so unfair. So verdammt unfair," sagt sie laut und wischt sich eine Träne ab. Mit einem entschlossenen Atemzug öffnet sie die Türe, geht durch den Korridor ins Wohnzimmer, wo Dave auf dem schwarzen Ledersofa sitzt, zwei mit herrlich duftendem Kaffee gefüllte Tassen vor ihm auf dem Clubtischchen. Er schaut sie bewundernd an. Sie ist schön, denkt er, wenn sie sich ein wenig anstrengen würde, würde sich bestimmt jeder Mann auf der Strasse nach ihr umdrehen. Ihre Entschlossenheit schwindet, sobald sie in seine haselnussbraunen Augen schaut, welche sie mustern, nicht lüstern, aber doch ...
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