Fluchtverhalten
Datum: 14.10.2022,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Dingo666
... Top-Multimedia-Anlage, gegen deren Anschaffung seine Exfreundin immer so fürchterlich vernünftige Gründe gefunden hatte. Und seine Ruhe. Die ganze Woche und speziell samstags und sonntags. Genug Raum, um einem hübschen, unbekannten Mädchen aus der Nachbarschaft hinterher zu gaffen, so lange er nur wollte.
Sascha trank aus und stellte die Tasse auf den Schreibtisch. Extra achtlos, ohne zu prüfen, ob etwaige Feuchtigkeit Ränder auf dem edlen Furnier hinterlassen würden. Amanda hatte einen ständigen Abwehrkampf gegen die Abdrücke geführt und seine Gläser immer mit vorwurfsvoll zusammen gekniffenen Lippen aufgeräumt.
Dann musste er grinsen. Amanda waren die Ringe auf seinem Tisch inzwischen mehr als egal, und über die Flecken würde er sich höchstens selbst ärgern. Er nahm die Tasse, wischte die Nässe vom Holz, und ging in die Küche.
Ein routinemäßiger Blick aus dem Fenster. Die Sonne strahlte vom Himmel, doch der Balkon, oder die Penthouse-Terrasse, lag verwaist.
***
Einige Stunden später kam Sascha von einer ausgedehnten Radtour nach Hause. Wie immer hatten ihm die Kilometer auf dem surrenden Rennrad gutgetan. Die körperliche Anstrengung hatten ihn zurückgebracht, ins Hier und Jetzt, in sein heutiges Leben.
Wie immer nach so einer Tour hatte er einen gewissen Frieden mit seinem Dasein schließen können. Er lebte weder gut noch schlecht. Ganz normal eben. Ein gutverdienender Enddreißiger nach einer längeren Beziehung, ohne außergewöhnliche Interessen ...
... oder exzentrische Hobbys, ohne zu viele lästige Freunde, ohne besonderes Ziel. Ein Boot in einem spiegelglatten Teich ohne jeglichen Seegang. Genau, wie er es haben wollte.
Als er das Rad im Keller abgestellt hatte und in den Hof heraustrat, sah er aus reiner Gewohnheit zum Balkon gegenüber hoch.
Er zuckte zusammen.
Das Mädchen sah zu ihm herunter. Blickte ihn aus riesigen Augen direkt an. Lebendig. Eindringlich. Vielsagend. Er lächelte unwillkürlich und winkte, aber die Geste erstarb mitten in der Bewegung, als jegliche Reaktion ausblieb. Nur ihr magnetischer Blick hielt ihn gefangen wie mit einem Magnetstrahl.
Irritiert blinzelte er, spürte leichten Ärger. Was wollte sie nur? Warum...
Eine unmerkliche Handbewegung von ihr. Ein kleiner Gegenstand fiel herab. Landete mit einem dumpfen Schlag im Grasstreifen neben der Eingangstür und kullerte zwei Schritte nach rechts. Als er fragend hochblickte, war der Balkon leer.
Sascha ging langsam über den Hof und kam sich lächerlich vor. Was mochten etwaige Nachbarn denken, die hinter ihren Gardinen hervor verfolgten, wie er mit seinem neonbunten Bikerdress im Hof herumlief und Sachen vom Boden aufsammelte?
Das Ding war eine olivgrüne, kaum abgebrannte Kerze in modischer Kugelform. Der Docht war direkt über dem weißlichen Wachs abgebrochen, stummer Zeuge eines versagenden Industriefertigungsprozesses. An der Kugel, gehalten von drei mehrfach gelegten Gummis, haftete ein weißes Quadrat. Ein Papier, klein ...