1. Wo ist Paul?


    Datum: 24.05.2023, Kategorien: CMNF Autor: maybe4you

    Ich bin nicht mehr jung. Jenseits der Siebzig, Witwer und lebe allein in einer kleinen Stadt. Jeden Tag, gerade bei schönen Wetter, wie zuletzt, gehe ich im nahegelegenen Park spazieren. Dieser ist zwischen zwei Hauptstraßen Richtung Innenstadt angelegt und hat an jeder dieser beiden Straßen ein nahezu immer offenes Eingangstor. Die asphaltierten Hauptwege führen kreisförmig am Zaun entlang. Nur über die schmaleren, gepflasterten Wege, kommt man wieder und wieder an einem zentralen Brunnen mit einer kleinen Wasserfontäne vorbei. Um diesem sind ringsherum einige Bänke angeordnet. Getrennt von einem der Wege, direkt gegenüber des Brunnens, ist ein großer, sehr schön gestalteter Spielplatz.
    
    Seit einem Monat sitz jeden Tag eine junge, brünette Frau auf einer der Bänke. Sie ist immer sommerlich gekleidet und sehr attraktiv, vielleicht 26 bis 28 Jahre alt. Wer sie war, wüsste ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Was ich aber wusste, sie war die Mutter des zirka fünfjährigen Jungen, der immer allein auf dem Spielplatz spielte, während seine Mutter vom Spielplatz abgewandt am Brunnen saß und sich mit ihrem Smartphone beschäftigt. Anfangs war noch eine zweite Mutter mit ihrem gleichaltrigen Jungen dabei, aber die hatte ich dort schon mindesten drei Wochen nicht mehr gesehen.
    
    Nun, ich bin kein Technikhasser. Im Besitz eines Smartphones bin ich auch. Um mit meinen Kindern und Enkeln zu kommunizieren, weil diese nicht gerade um die Ecke wohnen, nutze ich einen bekannten ...
    ... Messenger, mache Fotos mit dem Gerät und habe sogar ein von einem meiner Enkel empfohlenes Spiel installiert. Aber das, was ich da sah, macht mich zornig.
    
    Auf meinem Rundweg komme ich jeden Tag fünf Mal an dem Brunnen vorbei. Nicht ein einziges Mal in den letzten drei Wochen hat sie mit ihrem Jungen gespielt, immer, in Worten „immer“ hat sie auf das Smartphone geglotzt. Selbst, wenn ihr Sohn zu ihr kam, das habe ich zweimal beobachtet können, schaute sie nicht mal hoch, als sie mit ihm sprach.
    
    Jeden Tag, auf meiner Runde, setzte ich mich einmal auf die ihr gegenüberliegende Bank, um ein paar Minuten auszuruhen. Sie hat mich, so glaube ich, nicht ein einziges Mal wahrgenommen.
    
    Vor ein paar Tagen war der Junge vom Klettergerüst gefallen. Wer hat es nicht mitbekommen? Richtig, Madame!
    
    Ich war gerade in der Nähe und bin hin zu ihm. Er weinte, hatte sich aber nicht wirklich verletzt.
    
    „Geht es wieder?“, fragte ich, nachdem ich seinen Knöchel ein wenig gerieben hatte.
    
    „Ja!“, sagte er, „Magst du ein bisschen bei mir bleiben und mit mir spielen?“
    
    Sein Vertrauen schmeichelte mir, machte mich aber innerlich auch wütend.
    
    Dennoch freundlich und einfühlsam fragte ich ihn: „Ist das da hinten deine Mutter?“
    
    „Ja!“
    
    „Spielt die den nicht mit dir?“
    
    „Nein, wenn ich sie frage, sagt sie immer „gleich“. Komm dann aber nicht! Und beim Gehen sagt sie dann immer „beim nächsten Mal“ zu mir.“
    
    Ich war fast den Tränen nahe, so Leid tat mir der Junge.
    
    „Klar, spiele ich mit ...
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