1. Geliebter Dämon 04: Ein Tag im Büro


    Datum: 12.01.2020, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byPhiroEpsilon

    ... Achterbahn. Angst, Scham, Wut, Verzweiflung lösten einander in schneller Folge ab.
    
    Ich holte tief Luft. "Das ist nicht so einfach. Wir wissen zu wenig. Und deswegen möchte ich, dass du mir alles erzählst, an das du dich erinnerst. Schaffst du das?"
    
    Irgendwie hatte ich plötzlich den Drang, meine Hand sanft auf ihre zu legen. Sie zuckte kurz, zog sie aber nicht weg. Und irgendwie schien sie die Berührung zu beruhigen. Die wirren Gefühle verschwanden, und wurden ersetzt von Entschlossenheit.
    
    "Ja", sagte sie mit plötzlich fester Stimme. "Ich will, dass das Schwein seine gerechte Strafe bekommt."
    
    Die Strafe, die sie sich gerade vorstellte, stand zwar nicht im Gesetzbuch, aber ich war mit ihr durchaus einer Meinung. Ich schaltete den Recorder ein.
    
    "Was ist das letzte, woran du dich erinnerst?"
    
    "Ich war mit der Arbeit fertig und stand an der Bushaltestelle. Hohe Straße, Linie dreißig." Ihre Stimme war leise, aber verständlich.
    
    "Danach nichts mehr?"
    
    "Nein, alles verschwunden."
    
    "Tu mir einen Gefallen und mach die Augen zu", sagte ich, und sie tat wie geheißen. "Erinnere dich. Du kannst es. Du stehst an der Bushaltestelle. Schau dich um."
    
    Sie sagte nichts, aber ihre Augen unter den geschlossenen Lidern bewegten sich nach links und rechts.
    
    "Wer steht neben dir?"
    
    "Niemand", sagte sie mit etwas flacher, fast monotoner Stimme. "Um die Uhrzeit steigen da nicht so viele ein."
    
    "Kannst du jemand in der Nähe herumstehen sehen?"
    
    Ihre Augen zuckten ...
    ... wieder. "Nein. Der Bus kommt. Ich warte, bis sich die hintere Tür öffnet und steige ein, gehe ein Stück nach vorne. Hinter dem Busfahrer ist noch Platz. Ich setze mich. Dritte Reihe, Fensterplatz."
    
    "Wer sitzt neben dir?"
    
    "Niemand auf dem Nebensitz. Eine Frau Mitte dreißig mit einem Jungen auf der anderen Seite des Ganges."
    
    "Vor dir?"
    
    "Eine alte Frau, graue Haare, Dutt, blaue Strickjacke." Es schien, als würde sie immer tiefer in ihre Erinnerung eintauchen. Ihre Gedanken und Gefühle kamen immer klarer durch. Ich konnte die Szene richtiggehend vor meinem inneren Auge sehen.
    
    "Wer sitzt hinter dir?"
    
    "Ich weiß es nicht. Ich habe nicht aufgepasst."
    
    "Geh noch einmal zurück zu dem Moment, wo du eingestiegen bist. Wer sitzt links in der vierten Reihe?"
    
    Ihre Augen zuckten wieder, als würde sie einen Film betrachten, der schnell rückwärts lief. "Ein Mann. Graue Haare, Halbglatze. Weißes Hemd. Er blickt zu mir hoch und lächelt mich an. Ich lächle zurück. Ich habe ihn hier schon öfters gesehen, aber noch nicht mit ihm gesprochen."
    
    "Auf der rechten Seite? Hinter der Frau mit dem Kind."
    
    "Nichts."
    
    "Ist der Sitz leer?"
    
    Ihre Furcht schoss hoch. "Nein!" Ihre Stimme brach. "Da ist ... ein schwarzes Loch. Leere. Ich habe Angst."
    
    "Ruhig, Jasmine. Tief durchatmen. Ein und aus, ein und aus." Es kam mir vor, als würde wieder Energie fließen. Aber diesmal von mir zu ihr. Und diese Energie fühlte sich ganz anders an als gestern die Hitze des Orgasmus. Kühl, beruhigend, ...