1. Magische Orte


    Datum: 19.01.2020, Kategorien: 1 auf 1, Autor: Dingo666

    ... einige Fußabdrücke ab. Offenbar hatten auch ihre Vorgänger hier den Zugang gefunden.
    
    Vorsichtig drückte sie eine Holztür ins Innere auf, die sich knarrend bewegte. Sie hielt den Atem an, als sie sich umsah. Das unterste Stockwerk war ein einziger, offener Raum, mindestens sechs Meter hoch. Der Boden aus schweren Holzdielen schien noch intakt und stabil, und durch die großen Fensteröffnungen ringsum fiel Dämmerlicht herein. Die Scheiben starrten zwar vor Schmutz und weißer Farbe, die jemand von innen darauf geschmiert hatte. Doch es klafften etliche Löcher in den fein gegliederten Fenstern, die Licht und Luft hereinließen.
    
    Offenbar eine Art Maschinenhalle. Ausgeräumt, doch an einer Schmalseite stand noch ein Monster aus rostigem Stahl, bestückt mit Zahnrädern, Ventilen und Kurbelwellen. Es erinnerte an die Gebeine eines längst toten Drachen. Die Luft roch trocken und nach abgelagertem Holz. Es war beinahe kühl hier drin, wenn man direkt von der Sommerhitze hereinkam.
    
    Diese Aura! Still und gesammelt. Würdevoll. Wie in einer Kirche. Nein, noch intensiver. Nicht gestört von den Wegen der Gläubigen, der Priester. Nur die Zeit hing in der Luft. Gott selbst, vielleicht. Sie nahm einen tiefen Zug der Luft und schmeckte den Staub, die Trockenheit. Es roch wie in der alten Kiste, in der ihr Großvater die Andenken an seine Kindheit aufbewahrte.
    
    Vera wagte sich hinein, mit einem Gefühl der Beklommenheit. Sie kam sich vor wie eine Pilgerin, die nach langer Reise endlich das ...
    ... Mysterium des Wallfahrtsortes erblickte. In die Mitte des Raumes drehte sie sich einmal ganz langsam um die eigene Achse, betrachtete in aller Ruhe ihre Umgebung. Ein Kontrollblick an die Decke zeigte zwar einige Wasserflecken, aber nichts, das auf einen baldigen Einsturz hinwies. Die mulmige Ahnung in der Magengrube legte sich.
    
    Ja, dieser alte Bau würde ihr nichts tun. Sie fühlte sich sicher. Geborgen. So aufgehoben, dass sie automatisch die Augen schloss, um sich noch tiefer in das Gebäude einzufühlen. Eins zu werden mit ihm. Selbst alt, auf eine gewisse Art. Ein Lächeln spielte um ihre Lippen, und ganz von selbst hoben sich ihre Arme, streckten sich über den Kopf, der Decke entgegen. Sie kam sich vor wie eingespannt. Unten der Boden, die Verwurzelung in der Erde, ihre Füße als Säulen. Oben der Kontakt zum Himmel. Ihre Energie folgte dem Sog der Architektur nach oben.
    
    Ein traumhaftes Gefühl. Sie atmete langsam, aber tief, und genoss es, wie ihre Muskeln und Sehnen sich reckten, wie die Haut sich spannte. Das warme Pulsieren ihrer Adern. Das Knacken von Gelenken. Ein Summen kam von den Stimmbändern. Ohne Entschluss, einfach so. Ihr Lächeln vertiefte sich.
    
    Genau diesen Moment, diese Qualität suchte sie. Alleine, nur mit sich. Weit weg von den hektischen, anstrengenden Menschen, dem Trubel des Tages, den Aufregungen und Ablenkungen.
    
    Sie wurde still, innerlich.
    
    So still wie der ruhende Raum um sich herum.
    
    Eins.
    
    Ihre Arme senkten sich ebenso selbständig, wie ...
«1234...18»