Fluchtverhalten
Datum: 14.10.2022,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Dingo666
... Frau Rohmann?", fragte Sascha nun im Ton eines Bankangestellten. Die halbdunkle Wohnung fühlte sich an wie ein schwüler Dschungel, und er brauchte dringend eine Brise frischer, gesunder, rationaler Normalität.
Sie fuhr zu ihm herum und starrte ihn an, als sehe sie ihn zum ersten Mal. Dann lächelte sie entschuldigend und kam zu ihm. Nahm seine Hände.
"Bitte verzeihen sie mir. Ich bin schon so lange hier, dass ich vergesse, wie seltsam das rüberkommen muss. Und bitte: Nenn mich Sophie, ja?"
"Hrm - also gut. Sophie." Er schluckte bei der unvertrauten Lautfolge und betrachtete abwesend den weißen Doppelhügel ihrer Brust. Sophie war nur wenig kleiner als er selbst. Große Frauen fand er schon immer attraktiv...
"Zuerst möchte ich dir ganz, ganz herzlich danken, dass du das alles auf sich genommen haben, um mir zu helfen." Sie sah ernst zu ihm auf. Blau, entschied er. Ihre Pupillen mussten blau sein. Dunkelblau, wie das Meer an einer sehr tiefen Stelle.
"Ist schon ok. Was ist eigentlich los? Von wem wirst du denn... festgehalten?"
"Von meinem Vater!" Sie hielt seinen Blick gefangen, so wie bereits heute Nachmittag, vom Balkon herab. Aus kurzer Distanz strahlte sie eine Aura unterdrückter Energie aus. "Er ist ein Gangster. Ein richtiger Verbrecher, so wie aus dem Fernsehen. Was für Geschäfte er genau macht, das weiß ich nicht mal. Ich glaube, es hat mit Drogen oder mit Waffenhandel zu tun."
Sascha nickte. Natürlich. Eine ganz normale, vernünftige Erklärung. ...
... Passierte doch jeden Tag, oder?
"Bitte halte mich nicht für übermäßig skeptisch, Sophie", sagte er langsam. "Aber ich verstehe nicht, warum..."
Sie lachte auf. Ein Laut wie eine Messerklinge.
"Du verstehst nicht? Dann pass mal auf: Ich wusste es nicht. Er hat immer seine Fassade gewahrt, als ich jünger war. Bis ich mich vor vier Jahren mal so richtig verliebt hatte. Das war auf Ibiza. Philipp war bei der Bundeswehr, bei eine dieser Spezialeinheiten. Er war von seiner Truppe verpflichtet, jede neue Freundin von den Sicherheitsbehörden durchleuchten zu lassen. Und nun rate mal, was bei mir herauskam?"
Sascha starrte sie an. Er fühlte sich völlig fehl am Platze.
"Philipp wollte mich herausholen", fuhr sie mit tonloser Stimme fort. "Er hat mir alles erzählt. Aber am nächsten Tag, als er zurück zu seiner Einheit fuhr, da wurde er bei einem Verkehrsunfall getötet. Fahrerflucht!" Sie schluckte.
"Um Gottes Willen!", flüsterte Sascha und fasste sie wieder an den Händen. Sie drängte sich gegen ihn wie ein verschrecktes Reh an einen Baum und schmiegte ihr Gesicht an seine Wange.
"Ich habe meinen Vater angeschrien", murmelte sie von dort unten. "Ihm alles auf den Kopf zugesagt. Er hat es zugegeben. Meinte, ich würde es verstehen, wenn ich mal älter bin. Aber was gibt es da zu verstehen? Er hat meinen Liebsten umgebracht. Und inzwischen denke ich sogar darüber nach, ob meine Mutter damals wirklich Selbstmord begangen hat."
Sascha schwieg betäubt. In seiner Brust ...