1. Dinner für Zwei


    Datum: 11.06.2019, Kategorien: CMNF Autor: correct

    Noch dreimal vorsichtig umgerührt, dann konnte die Sauce hollandaise aus dem Wasserbad genommen werden. Da keiner zusah, tauchte Herbert kurz den Zeigefinger in die weiße Masse und testete den Geschmack: Perfekt! Die weiteren Arbeiten konnte sein Gehilfe übernehmen. Der Chefkoch im Landgasthof, der erst im letzten Jahr behutsam von der Dorfkneipe zum Feinschmecker-Restaurant umgewandelt worden war, lugte durch die Tür, die seine Küche von den Gästen trennte, und nahm befriedigt zur Kenntnis, daß selbst heute, an einem Dienstag, jeder der acht Tische besetzt war. Dabei hatte es so beschwerlich angefangen:
    
    Zuerst hatte es Ärger gegeben, als Herbert die alte Kneipe gegenüber der Kirche in dem kleinen Ort am westlichen Rand des Ruhrgebiets übernommen hatte. Die Bauern der umliegenden Höfe waren es bislang gewohnt, ihren Frühschoppen am Sonntag dort zu beginnen, wenn vis à vis der Pfarrer von der Höllenverdammnis erzählte.
    
    Man ging im Kreise der Familie zur Kirche; nach dem Passieren des Portals trennten sich jedoch die Wege. Die Kinder stürmten auf die vorderen Plätze zu den Gleichaltrigen, um sich vor Beginn des Gottesdienstes noch rasch die letzten Neuigkeiten zu erzählen. Die Ehefrauen gingen gemessenen Schrittes ins Mittelschiff, um sich dort nebeneinander aufzureihen. Die Männer schließlich bildeten nahe dem Eingang eine dichte Traube; dabei waren die rückwärtigen Plätze die begehrtesten. Nach der Predigt begann die wöchentliche Mutprobe. Ein Mann nach dem ...
    ... anderen passierte, möglichst ohne durch Geräusche aufzufallen, das Kirchenportal und begab sich ohne Umschweife zur “Jägerkrone” auf der gegenüberliegenden Seite. Die Kunst war, dabei nicht von den Ehefrauen ertappt zu werden, die mit argwöhnischen Blicken die versammelten Mannsbilder am Verlassen des Gotteshauses zu hindern versuchten.
    
    Dennoch hatte sich vor dem Schlußlied die Versammlung im hinteren Kirchenbereich meist weitgehend aufgelöst; nur die Pantoffelhelden wagten nicht, ihren Ehefrauen Grund für Streitereien zu geben. Im Gasthaus ging es dann schon hoch her; an der Theke wurden in Dreierreihen die neuesten EG-Beschlüsse zur Agrarreform lautstark kommentiert. Am Stammtisch wurde Skat gedroschen, und das Bier rann reichlich durch die Kehlen der Durstigen. Pünktlich um ein Uhr, wenn die Kartoffeln auf dem heimischen Tisch serviert wurden, leerte sich die Wirtschaft.
    
    Auch die örtlichen Vereine hatten ihre Standarten und Pokale in einer Glasvitrine des Hinterzimmers ausgestellt; jeder Sieg des Fußballvereins wurde hier gefeiert, die Jahreshauptversammlung des Verschönerungsvereins fand hier ebenso statt wie die Vorbereitung der nächsten Kommunalwahl.
    
    Doch dann gab Jakob, der alte Wirt, seinen Beruf aus Altersgründen auf; da keiner seiner Nachkommen daran interessiert war, sein Leben mit Bierzapfen zu verbringen, wurde das Gasthaus verkauft - an Herbert, den Nobelkoch, der nach mehreren Stationen in deutschen und belgischen Restaurants der Spitzenklasse nun nach ...
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