Dinner für Zwei
Datum: 11.06.2019,
Kategorien:
CMNF
Autor: correct
... Selbständigkeit strebte. Er wählte die Immobilie aufgrund des günstigen Preises und der Nähe zu den Fleischtöpfen des Ruhrgebiets - und er hatte sich vorgenommen, in dem alten Gemäuer Essen der Spitzenklasse zu servieren.
Daß dies nicht ohne Ärger mit der ansässigen Bevölkerung abgehen konnte, war Herbert klar; Bierseligkeit und Entre deux mères der Spitzenklasse konnten nicht miteinander harmonieren. Dennoch versuchte er anfangs einen Kompromiß. Er teilte den Thekenbereich mit einer Wand ab, um dort den Leuten aus dem Ort weiter ihr gewohntes Bier anzubieten.
Doch die Landleute nahmen ihm krumm, daß er 50 Pfennige auf den Bierpreis aufschlug; zudem vermißten sie die Gemütlichkeit in den umgestalteten Räumen. Glänzender Chrom und Halogenlicht paßten weniger zu ihren Gesprächen als das grobe Eichenholz, aus dem die alte Theke gestaltet war. So lästerten sie erst und blieben dann, einer nach dem anderen, weg. Der Besitzer des zweiten Gasthofes am Ort freute sich über die zusätzliche Kundschaft.
Für Herbert begann eine Durststrecke; am Ort konnte sich niemand für Coquilles St. Jacques erwärmen, in der Umgebung war er nicht bekannt. Er verschickte hektographierte Briefe mit seinem Menüangebot an Freiberufler der umliegenden Städte, und langsam stieg die Zahl seiner Gäste. Die erstklassigen Speisen und der unaufdringliche, aber perfekte Service waren sein Kapital, das er sorgsam vermehrte. Die Städter, die einmal bei ihm gegessen hatten, kamen wieder, und sie brachten ...
... ihre Freunde mit.
Nach einem Jahr war der kleine Parkplatz vor der Kirche auch an Wochentagen mit großvolumigen Autos gefüllt; ihre NummernÂschilder belegten den Einzugsbereich seines Restaurants, der sich bis weit ins Ruhrgebiet erstreckte. Seine “Jägerkrone” war zum Geheimtip für edle GeÂschäftsÂessen geworden; Herberts Mut wurde mehr als erwartet belohnt.
Schon bald mußte der Wieder- Junggeselle das Personal aufstocken, um die Qualität nicht unter das selbstgesteckte Maß absinken zu lassen. Er arbeitete vom frühen Morgen bis in die Nacht. Jeder Arbeitstag begann mit einer langen Fahrt zum Dortmunder Großmarkt; in diesem Hauptumschlagplatz für hochwertige Nahrungsmittel wählte er stets persönlich die Zutaten für seine Menüs aus. Zurück in seinem Betrieb bereitete er dann die Speisen vor, die er am Abend den Gästen anbieten wollte. Wenn er um 18 Uhr die Eingangstür öffnete, war er auf alles Denkbare vorbereitet.
Befriedigt schloß Herbert an diesem Dienstagabend wieder die Tür zum Gastraum und dachte: “Es ist gut, wenn Qualität anerkannt wird.” Als er gerade mit dem Dessert für Tisch 5 beginnen wollte, kam Carlo, der Oberkellner zu ihm und sagte: “Die junge Dame an Tisch 1 will mit Ihnen sprechen, chefe. Sie ist anscheinend nicht zufrieden.”
Herbert legte seine vom Kochen befleckte Schürze ab und ging zu Tisch 1. Dort saß eine schwarzhaarige, kurzgelockte Frau - sie mochte Mitte zwanzig sein - ohne Begleitung. Als sie den Koch erblickte, runzelte sie die Stirn: ...