1. Sangius Vita Est - Eine abendliche Elegie


    Datum: 01.04.2019, Kategorien: Kunst, Autor: Anonym

    ... würde, als es die vom Frühling euphorisierte Wetterberichtertattung vorhersagte.
    
    Auf den Bergen lag noch Schnee, wie oft hatte man es erlebt, dass in den späten Abendstunden noch ein kalter Wind aufflaute und durch das Tal schnitt.
    
    Unten klingelte es.
    
    Das musste Ophelia sein.
    
    Ophelia war schon seit der Primärschule ihre beste Freundin, und schon seitdem bestand zwischen den Beiden ein ganz besonderes Band, speziell wenn es um die intimsten Belange einer jungen Erwachsenen ging.
    
    Erst gestern, im fürchterlichsten Prüfungstress, an dem der Walzertakt des Daktylus bis zum Erbrechen durchskandiert, Petrarcas Laura mehrmals angefleht, oder der Sekundenstil minutiös aufgearbeitet wurde, hatte es wieder ein sehr langes Telefongespräch gegeben.
    
    Es war immer dasselbe leidige Thema: Ophelias Freund!
    
    Nach mehreren eher harmloseren Typen mit Standarteigenschaften, war das aktuelle Modell wieder ein komplizierter Fall.
    
    Ophelia hatte nämlich ein ausgeprägtes Helfersyndrom, was, speziell im Umgang mit Männern, dazu führte, dass in verlässlicher Regelmäßigkeit Dinge passierten, die einen faden Beigeschmack hinterließen.
    
    Doch ihr jetziges "Projekt" schlug jedwaigen Rahmen.
    
    Nicht nur, dass ihr Ricardo ein kleines Problem mit Cannabis und anderen Gräßern hatte und auch schon von der Polizei erwischt worden war, als er mit Aufputschmitteln an der Via della Stazione stand und ebenso seelig grinste, wie die eingestanzten Smileys auf denselbigen, nein; nun saß er auch ...
    ... noch in U-Haft und Ophelia hatte eine Vorladung von der Kriminalpolizei bekommen, in der zu Hauf wenig erfreuchliche Formulierungen in bedrohlicher Beamtensprache prangten.
    
    Sie hatte wirklich was besseres verdient, denn eloquent und gebildet war sie ja.
    
    Der Vater war schließlich Intendant beim Staatstheater und was ihr Aussehen anging, konnte sie locker mit den meisten Mädchen in ihrem Jahrgang mithalten.
    
    Mit ihren tiefbraunen Rehaugen und den langen blonden Locken, die schulterlang über ihre schmalen Schultern fielen, den langen Beinen und einem exqusiten Geschmack was Mode und die anderen Äußerlichkeiten anging, war sie weißgott in der Lage sich einen Kerl zu angeln, den man nicht erst auf Augenhöhe hieven musste.
    
    Und genau das hatte sie ihr gestern auch eingetrichtert.
    
    Sie öffnete die Tür.
    
    Außer Atem und verschwitzt stand dort, wie erwartet, ihre beste Freundin.
    
    Sie begrüßten sich.
    
    "Meine Güte!", stöhnte Ophelia, "ist das heiß draußen!"
    
    In der Tat liefen dicke Schweißperlen von ihrer Stirn, rannen ihr ebenmäßiges Gesicht herab und tropften auf den Fußboden.
    
    "Willst du dich nicht erst einmal duschen? Ich kann dir Shampoo und Handtücher borgen, wenn du willst.", sagte Esther und eilte voraus.
    
    Ihre Freundin ließ sich das nicht zweimal sagen und stieg, mit ihr zusammen, die Treppe in den ersten Stock hinauf, in dem sich Esthers Zimmer befand.
    
    Da sie ein Einzelkind war und sie und ihre Eltern in der geräumigen Stadtwohnung mehr Platz als nötig ...
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