1. Grober Sand 09 - Ende


    Datum: 07.11.2019, Kategorien: Nicht festgelegt, Autor: byLoreleyColter

    ... Rauschen des Meeres stundenlang zuhören. Einfach nur dasitzen. Lauschen.
    
    Nachts ist es hier ziemlich hell. Deswegen war die alte Frau wohl so froh, diese Hütte endlich loszuwerden. Über den Hügeln am anderen Ende der Bucht, wo amerikanisches Staatsgebiet liegt, leuchten die Scheinwerfer jede Nacht. Das amüsiert mich herzlich.
    
    Amerikanische Dollars kaufen auf dieser Insel alles. Die „Hütte", eigentlich eine regelrechte Finca, in der wir jetzt wohnen, ist rustikal, aber irgendwie ... heimelig. Alles was man braucht. Am Meer, Sandstrand, rauschende Wellen. Rum und Cola. Vergessen. Heilen.
    
    Wir sind jetzt hier seit ... Lass mich überlegen. Ja, es dürften schon so um die zwölf Wochen sein. Zeit spielt hier nur eine nebengeordnete Rolle. Die Sonne scheint, das Meer brandet.
    
    Am Anfang schweigen wir. Tagelang, wochenlang kein einziges Wort. Er hasst mich. Er hasst mich, weil er nicht in der Wüste sterben durfte, wie er es geplant hatte. Nun, sein Pech.
    
    Das Konto war gut gefüllt. Mit Drogengeld, wie ich jetzt weiß. Damit kann man sich hier verdammt viel leisten.
    
    Das Meer rauscht.
    
    Jeden Abend setzt er sich an den Bettrand und ich wickle die Bandagen ab. Besehe die Stiche. Sie heilen vor sich hin. Ich versorge seine Wunden, dann bedecke ich sie mit frischen Verbänden.
    
    Meine Welt war schon immer sehr klein, wenige Menschen darin. Seit fast fünf Jahren gab es eigentlich nur noch ihn. Und ich fühle mich wohl, nur mit ihm.
    
    Jeden Abend, bei diesem Ritual, entdecke ...
    ... ich neue Narben. Das meine ich nicht metaphorisch. Nein. An seinen Handgelenken, auf seinem Rücken, an seinem Hals, auf seiner Brust. Narben von Schnitten, von Verbrennungen, von Fesseln. Schusswunden. Jedes Mal. Er sagt nichts, wenn ich die Fingerspitzen über die entstellte Haut gleiten lasse. Er erträgt es stumm. Vielleicht genießt er es sogar, dass ich Körperteil um Körperteil ein Stück seiner Vergangenheit erkunde.
    
    Aber dann gibt es diese Nächte, in denen ich aufwache und er nicht mehr neben mir liegt.
    
    Am Anfang geriet ich in Panik. Irrte durchs Haus, jede Nacht befürchtend, eine Blutlache zu entdecken oder seinen erkalteten Körper an einer Schlinge.
    
    Schließlich stellte ich aber fest, dass ich nur seinen Fußspuren im Sand folgen muss. Dann finde ich ihn am Wasser. Da sitzt er zusammengekauert, mit hängenden Schultern, und sieht aufs Meer hinaus. Ich bleibe in diesen Nächten einfach auf den Stufen vor dem Haus sitzen und warte.
    
    Irgendwann, ich weiß nicht mehr wie viel Zeit wir damit verbracht haben, uns anzuschweigen, habe ich eines Morgens in der Küche ein Glas fallen lassen. Vor Wut habe ich gleich noch ein zweites an die Wand geschleudert. Dann habe ich mich auf dem Boden zusammengerollt und versucht, nicht mehr weiterzuleben.
    
    Nach einer Weile, vielleicht auch Stunden -- es war schon dunkel -- hat er mich so gefunden. Hat sich neben mich gekniet und mir einen Arm um die Schultern gelegt. Mit der andern Hand hat er mir die Splitter aus der Haut gepflückt. ...