Sangius Vita Est - Eine abendliche Elegie
Datum: 01.04.2019,
Kategorien:
Kunst,
Autor: Anonym
... Schauern und er überlegte in seine Wohnung zurück zu kehren, um einen Mantel zu holen.
Da diese aber am anderen Ende der Altstadt gelegen war, und er schon beschlossen hatte an diesem Abend in einem Restaurant zu speisen, wohlwissend, dass in seinem Zuhause eine leerer Kühlschrank wartete, bog er nun an der Piazza delle Erbe in die Goethestraße ab, um auf kürzesten Wege zum Walter zu kommen.
Als er gerade auf der Höhe der Via Argentieri war, erblickte er etwas, was ihn dermaßen in seinen Bann zog, dass er auf der Stelle inne hielt und mit steigendem Interesse in dieselbige blickte.
Es war eine junge Frau.
Caroso konnte nicht einmal sagen, dass sie herausragend hübsch war oder eine über die Maßen beeindruckende Figur besaß.
Es war eher ihre Aura, die Art wie sie über das Pflaster ging, die Art mit der sie ihn angelächelt, ja fast schon gelockt hatte, sie genauer zu betrachten.
Sie hatte braunes, leicht in rötliche Töne gehendes Haar, das in geschwungener Krause auf ihre Schultern fiel.
Ihr sommersprossenbedecktes Gesicht mit tiefen, wasserblauen Augen, wirkte in der zunehmenden Dunkelheit nur wie eine verschwommene Kontur, doch Caroso schien es, als lag in ihren Gesichtszügen eine tiefe Nachdenklichkeit, gleich einem sinnenden Künstler in Erwartung des Geistesblitzes.
Nun begriff er auch, dass es genau dieser schiefrunde Zug in ihrem Antlitz gewesen war,
der ihn anzog, gleich einer Motte zum Licht.
Es war als würden sie ohne Worte sprechen, als ...
... hätten sie einen Weg gefunden still zu kommunizieren.
Caroso wagte kaum zu Atmen, völlig ungwohnte Gefühle überkamen ihm beim Anblick dieses Wesens.
Gleich lachend, gleich weinend, eine tiefe Zuneigung spürend, von der er nicht wusste woher sie kam oder was sie begründete.
Was sollte er tun? Ihr nachlaufen?
Was war das hier eigentlich? War er so verzweifelt?
Kündigte sich da etwa schon die Midlife-Crisis an?
Er verstand sich selbst nicht, irgendwie war dieser Moment einzigartig unwirklich.
In seinem Kopf schwirrten die wildesten Gedanken, auch solche die ihm höchst ungeheurlich schienen, er konnte doch nicht hier...
Gleich einem freudigen Hund wollte er auf sie zustürmen; doch er besann sich; wie würde das wohl aussehen?
Da bemerkte er das sie sich umgewandt hatte. Sie ging weiter. Er konnte es nicht verstehen.
Ihr folgend bewegte er sich vorwärts, doch er taumelte.
Ein Fahrrad, das quer über den Randstein lag, fast unsichtbar im Finsteren, war zu einem Stolperstein geworden.
Er fiel.
Während sich Caroso peinlich berührt aufrappelte, eilte das Mädchen ihm entgegen.
Noch bevor sie angekommen war, begann er sich laut zu entschuldigen:
"Verzeihen sie, Signora! Ich wollte ihnen nicht nachstellen."
Sie blieb ihm Schatten stehen.
Zwei Meter entfernt.
Stille.
Gegenseitig musterten sie sich, wobei ihm immer mehr die Röte in das Gesicht stieg.
Er wollte sich gerade umwenden, um zu gehen, mehr noch, den Rückzug anzutreten, da ...