1. Amaranthe


    Datum: 24.01.2022, Kategorien: Erstes Mal Autor: bydummbatz

    ... bleibt mein Tagebuch, das sich verschwiegen irgendwo in irgendeinem Schrank versteckt.
    
    Ich studiere in der Nähe meiner neuen Heimat. Eine unbeschwerte, eher schwesterliche Liaison mit einer Kommilitonin und Mitbewohnerin hilft mir, mich aufs Staatsexamen vorzubereiten. Für Medizin reichen weder Notenschnitt noch Motivation, außerdem fehlt mir inzwischen die frühere Leichtigkeit beim Lernen. Ich lasse mich von neuen Zielsetzungen antreiben, ohne eigentliches Ziel.
    
    An vielen Abenden kuscheln meine Studiengenossin und ich vor einem ausgewählten Film-Programm; harmlose Komödien oder alte Schwarzweißfilme. Klamotten wie Pat und Patachon, Dick und Doof, der rosarote Panther. Mein Faible für Klassik und im Besonderen für Bach und Beethoven tausche ich ein gegen das Vergnügen an lässigem Jazz. Und ich besuche häufig den Gottesdienst.
    
    Nach bestandener Prüfung und erfolgreichem Referendariat an einem reinen Mädchengymnasium, wo allerdings keine Stelle frei wird, verschlägt mich die Empfehlung meiner früheren Geschichts-Professorin an ein Privat-Gymnasium.
    
    VI.
    
    Die Friedrich-Neuß-Schule. Eine mehr als exklusive Einrichtung. Jeder Blick, jedes Wort der Schüler signalisiert mir die wahre Hierarchie hier. Meine Probleme mit der neuen Umgebung sabotieren die erprobten Prinzipien meines neuen Lebensplans, und schon in der ersten Woche frage ich mich, ob ich die richtige Wahl getroffen habe. Doch ausgerechnet der überaus populäre Rektor leistet mir Beistand. An meinem zweiten ...
    ... Dienstag als Lehrerin in dieser Schule sitzt er auf einmal hinten in der Klasse, stets mit einem zustimmenden Nicken oder einem aufmunternden Lächeln zu meiner Unterstützung bereit. Die Schüler fordern merklich weniger meine spärliche Autorität heraus. Mein Auftreten gewinnt an Souveränität.
    
    Ein, zwei Mal die Woche spielt er so den Zaungast und geizt im Anschluss an die jeweiligen Kurse, Geschichte und Deutsch, selten mit wohltuendem Lob. Ich fange an, mich einzugewöhnen.
    
    VII.
    
    Beim Blick in den Spiegel an diesem Morgen wird mir bewusst, um wie viel pedantischer ich seit Tagen meine Garderobe zusammenstelle und Accessoires und Schmuck anpasse.
    
    Meine Hände schweifen über das Kostüm, eine knapp bis zu den Hüften reichende Jacke über einer Seidenbluse und ein Rock, der die Oberschenkel angemessen bedeckt. Im Halsausschnitt und am Handgelenk schimmert das dunkle Violett flach geschliffener Amethysten. Italienische Schuhe, nicht übertrieben hochhackig, betonen die schlanke Linie meiner langen Beine.
    
    Wie viel von dem, was ich sehe, gilt ihm? Ich schüttle den Kopf, als ließe sich so die Frage aus meinen Gedanken scheuchen.
    
    Ich binde die Armbanduhr um.
    
    VIII.
    
    Die Glocke zum Ende der letzten Unterrichtsstunde erklingt. Vor dem Lehrerpult, mit dem Gesäß an der Tischkante, hofiere ich das stimmungsvolle Defilee der Klasse mit gelegentlichem Nicken, Lächeln, einem Abschiedsgruß. Ich sehe in die letzte Reihe. Zu ihm. Sobald SEINE Schüler den Raum verlassen haben, kommt ...
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